das Buch

Pravda, Gisela, 2003: Die Genderperspektive in der Weiterbildung. Analysen und Instrumente am Beispiel des berufsbildenden Fernunterrichts, Bielefeld, ISBN: 3-7639-0987-7

Wie werden Frauen in Lehrmaterialien dargestellt?

Aus der Genderperspektive untersuche ich Unterrichtstexte für berufsbildende Fernlehrgänge. Analysiert werden nicht nur Sprache und Bilder der Lernmaterialien, sondern auch das in ihnen unausgesprochen transportierte Frauenbild.

Mein Ergebnis: Alle untersuchten Lehrgänge ignorieren durchgängig die Lernerinnen. An Männern orientierte Muster in Sprache, Inhalt und Didaktik schreiben eine unzeitgemäße Geschlechterhierarchie fort. Deshalb habe ich Checklisten zur Vermeidung sexistischer Sprache, für geschlechtergerechte Inhalte und für eine gendersensible Didaktik entwickelt.

zu bestellen beim W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, Postfach 10 06 33, 33506 Bielefeld

e-mail: service@wbv.de

Das über viele Jahre zusammengetragene empirische Material legt eine breite Grundlage für die Genderanalyse – danach gibt es keinen Zweifel, dass hier ein gesellschaftliches Problem aufgedeckt und bearbeitet wird, nämlich die Androzentrizität von Weiterbildungsmaterial, wie wir sie sicher so nicht erwartet haben. Die weitgehend exemplarische Analyse von über 25.000 Textseiten belegt mit Textstellen, Grafiken, Fotos und Lehrbeispielen den heimlichen Lehrplan: Der Mensch ist ein Mann, er hat kein Geschlecht! Er ist die Norm, die Frau ist die zu vernachlässigende Abweichung.

Aber das Besondere an dieser Arbeit sind – mehr noch als die Analysen – die Instrumente: je eine Checkliste für eine nicht-sexistische Sprache, für geschlechtergerechte Inhalte und für gendersensible Lehr-/Lernmethoden. Für Fachleute in der Berufsbildung wird hier ganz deutlich, wie eine Umsetzung des Gender Mainstreaming in Weiterbildungsmaterial und -maßnahmen aussehen kann. Die Checklisten sind allen hilfreich, die gendersensibles Lehrmaterial entwickeln, überarbeiten oder begutachten wollen. Selbst Teilnehmerinnen können vor Lehrgangsbeginn prüfen, ob sie diesmal vorkommen oder ob sie sich wieder nur „mitgemeint“ fühlen müssen – trotz De-jure-Gleichstellung von Frauen und Männern.

Weiterbildung für Frauen ist – privat und beruflich – von großer Bedeutung. Der berufsbildende Fernunterricht ist für viele Frauen oft die einzige Möglichkeit der beruflichen Weiterbildung. Aber gerade hier erhalten sie nicht die Unterstützung, die Frauen in der allgemeinen Weiterbildung suchen und finden. Lehrbriefe setzen bei ihrem Publikum oft die Orientierung an der herrschenden Herrenkultur als selbstverständlich voraus. Die vorgelegte Arbeit sollte deshalb verstanden werden als ein Beitrag zur Realisierung der gesellschaftspolitischen Perspektive von Gleichheit und Differenz. Für eine geschlechtergerechte Didaktik impliziert das eine umfassende Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz bei Planung und Gestaltung von Bildungsveranstaltungen, es betrifft die Geschlechterperspektive als Inhaltsdimension von Seminaren ebenso wie die methodische Gestaltung der Seminare und die Gestaltung der Rahmenbedingungen von Bildungsarbeit – nur so werden gesellschaftliche Entwertungsmuster durchbrochen und vermieden.

Die „Wende des Blicks“: Aus einer übergeordneten Perspektive geht es auch um die Frage: Ist Geschlecht eine Wissenschaftskategorie? Ein historischer Rückblick zeigt, Geschlecht war immer eine Wissenschaftskategorie – wenn auch bis in jüngste Zeiten eine heimliche. Insofern war Geschlecht durch die gesamte Wissenschaftsgeschichte konstitutiv für die wissenschaftliche Praxis. Wie geschichtsmächtig die Kategorie Geschlecht war, lässt sich an vielen Untersuchungen zeigen: Sie wurden – sowohl in den Natur- wie in den Sozialwissenschaften – an rein männlichen Stichproben durchgeführt, waren also unsichtbar „gegendert“, und erhoben dennoch Anspruch auf Gültigkeit für beide Geschlechter.

Außerdem zeigt die Wissenschaftsgeschichte: Die symbolische Geschlechterordnung wurde biologisiert, so wurden kulturelle Kodierungen von Geschlechterrollen als „Naturgesetz“ missverstanden und missgedeutet. Da sich die soziale Ordnung und der Rechtskodex darauf beriefen, hatte das dramatische Folgen für die Frauenbildung. Das Ergebnis des einschlägigen modernen Diskurses heißt: Differenz statt sozialer Inferiorität der Frauen. Nun sind in jeder wissenschaftlichen Disziplin die beiden Fragen zu stellen „Wie verändert die Einbeziehung von Geschlechterdifferenzen den Kanon und die Methoden des Faches?“ und „Was hat das Fach zu den Geschlechterstudien beizutragen?“ Zur Beantwortung dieser Fragen geben Gender Studien an vielen Stellen Anregungen, aber – aus einer wissenschaftstheoretischen Perspektive – selbstverständlich keine abschließenden Antworten. Zu erwarten sind aber Rückwirkungen auf die soziale und kulturelle Wahrnehmung von Geschlecht.